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FRANKREICH:  ALLE AUF DIE STRASSE GEGEN CHIRAC UND LE PEN!


Matthieu Roux (Pouvoir Ouvrier, Frankreich)

"Ein politisches Erdbeben". Alle PolitikerInnen und KommentatorInnen stimmen darin überein, dass die Ergebnisse der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl eine bedeutende Erschütterung darstellen.
Zum Zeitpunkt unseres Schreibens sind die Ergebnisse noch nicht endgültig, scheinen aber folgendermaßen auszusehen: Chirac 19,5%, Le Pen 17,2%, Jospin 16%, Laguiller (LO) 6%, Besancenot (LCR) 4,5% und Hue (PCF) 3,5%.
Drei wesentliche Ereignisse werfen für ArbeiterInnen und Militante eine Reihe von Fragen auf:

1. Anstelle der erwarteten zweiten Runde zwischen dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin und dem rechten korrupten Präsidenten Chirac, wird der faschistische Demagoge Jean-Marie Le Pen in die Entscheidung gehen.
Die Vertreter PS (Partie Socialiste) beeilten sich gleich, zur einer Wahl des zynischen Populisten und Vollzeitgauners Jaques Chirac aufzurufen, um "die Republik zu retten".
2. Die SP und die KPF wurden wegen ihrer Regierungspolitik abgestraft, vor allem durch die Arbeiterklasse.
3. Die radikale Linke erhielt bei den Wahlen über 10% und legte die Basis für die Schaffung einer neuen Arbeiterpartei - wären LO und LCR wirklich politisch gerüstet und bereit, dafür zu kämpfen.

Warum war Le Pen erfolgreich?

Le Pens Sieg geht auf zwei Faktoren zurück. Erstens war Chiracs einziges Kampagnenthema die  "Kriminalität". Er stützte sich zynisch auf Le Pens Themen und verteilte 4 Millionen Flugblätter mit einer schwarzen Hand auf dem Deckblatt zur angeblichen "Kriminalitätswelle". Als Ergebnis sagten 58% der WählerInnen, dass ihre Wahl von der Frage der Kriminalität bestimmt war. Die Millionen WählerInnen, die Le Pen 1995 wählten, erschienen abermals und wurden von einigen Hunderttausend anderer unterstützt.
Ein leichtes Wachstum bei den Gewaltverbrechen - vorwiegend infolge von Handy-Diebstählen - verbunden mit einigen tragischen Ereignissen wie der Ermordung städtischer Ratsherrn in einem Pariser Vorort, verstärkt durch einen hysterischen Medienrummel, trug viel zur Verstärkung von Chiracs Botschaft bei und - unabsichtlich - zum Wachsen der Unterstützung für Le Pen. Trotz der Lügen Chiracs gibt es aber keine massive Kriminalitätswelle in Frankreich.
Zweitens brach die Wahl Jospins wegen seiner Kampagne zusammen, die Chiracs Kriminalitätspanik nachahmte, sowie wegen des Eindrucks, dass es nichts zu wählen gibt zwischen den zwei "Hauptkandidaten" und vor allem wegen des schlechten Rufs der Regierung aus SP, KPF und den Grünen. Abgesehen von wenigen kleinen Reformen verteidigte die Regierung systematisch die Bosse und verschlechterte die Situation der Arbeiterklasse.
Jospin war so stolz auf seinen pro-kapitalistischen Erfolg, dass er erklärte, dass sein Programm kein sozialistisches war. Schließlich wurde diese Botschaft auch von der Arbeiterklasse gehört. Seine letzten Versuche einer "Wendung nach links", einschließlich seiner "Hinwendung" zu Karl Marx, wurden durch die ArbeiterInnen zurecht als Täuschung empfunden.
Trotz der Tatsache, dass rund 20% der WählerInnen für die FN oder Bruno Megret, den Führer der MNR (einer Abspaltung der FN) gewählt haben, stehen die Stiefelfaschisten nicht für einen Marsch durch die Champs Elysees bereit.
Lediglich 9% der WählerInnen Le Pens dachten, er hätte das Format eines Präsidenten und nur 18% dachten, dass er "Vertrauen einflößt". Dies ist deutlich eine Protestwahl und nicht eine faschistische Wahl. Obwohl die FN von Faschisten mit dem Ziel einer faschistischen Massenpartei geformt wurde, waren Le Pens WählerInnen immer eine Mischung aus RassistInnen, ausgegrenzten ArbeiterInnen, Kleinbürgern und tatsächlichen Faschisten.
Die letzte und gefährlichste Komponente macht nur einen kleinen Anteil der Unterstützung der FN aus. Faktisch war Le Pens Kampagne im Vergleich mit den vergangenen Jahren extrem leise und ohne exzessive Benutzung des Rassismus und antisemitischer "Witze". Die faschistischen Strolche der FN waren einige Jahre nicht mehr aktiv und Le Pen versuchte, mehr wie ein Berlusconi als wie ein Hitler durchzukommen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Chirac in zwei Wochen klar gewinnen wird: mit seinem üblichen dreisten Zynismus versuchte er sofort, sich als den Retter der Nation darzustellen, der zur Verteidigung der "republikanischen" Werte und der Menschenrechte aufruft. Dies von einem Mann, der sich vor wenigen Jahren rassistisch über "den Geruch und den Lärm" der ImmigrantInnen verbreitete.
Die ArbeiterInnen dürfen und können Chirac nicht unterstützen. Dieser Gauner, der eher im Gefängnis als im Präsidentenpalast schlafen sollte, hat nichts zu tun mit Demokratie oder irgendwelchen Werten, die ArbeiterInnen verteidigen könnten. Anstatt sich dem Aufruf der SP zu einer klassenkollaborationistischen "republikanischen Front gegen Faschismus" anzuschließen, sollten Militante an Demonstrationen teilnehmen, die nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse in allen wichtigen Städten des Landes explosionsartig stattfanden.
Eine solche direkte Mobilisierung gegen Le Pens und der FN Versammlungen ist der Weg, den Faschismus und die extreme Recht zu bekämpfen und gleichzeitig die Arbeiterklasse für die Verteidigung ihrer Interessen zu mobilisieren.
In der zweiten Runde müssen die ArbeiterInnen Le Pen und Chirac die Wahl verderben. Wir rufen auf, ungültig zu wählen! Dazu soll die Arbeiterbewegung - einschließlich aller Gewerkschaften und Parteien - eine landesweite Kampagne organisieren!
Der siegreiche Kandidat muss außerdem nach französischem Recht über 50% der abgegebenen Stimmen erhalten. Würde die Masse der Arbeiterklasse ungültig wählen, könnten sie die zweite Runde der Wahl blockieren.
Die politisch Verantwortlichen für den Erfolg Le Pens sind auch seine bekanntesten Opfer: Lionel Jospin und die Sozialistische Partei. Ihre Politik und ihre Kampagne wurden von ArbeiterInnen abgelehnt, die keinen Grund sahen, einen Kandidaten zu wählen, der offen seine Unterstützung für neoliberale Politik erklärt. Die SP-KPF-Grünen-Kandidaten erreichten in der ersten Runde der Wahlen von 1995 35,2%. Dieses Jahr sank diese Zahl auf 26%. Mehr als 30% ihrer UnterstützerInnen verschwanden.
Die Führer von SP und KPF argumentierten, dass dies die Schuld der radikalen Linken sei, die eine eigene Kanidatur und Kritik wagte. Tatsächlich passierte etwas Wichtiges in den vergangenen paar Jahren in der französischen Arbeiterklasse, als die ArbeiterInnen zunehmend ihre historischen Parteien verließen und die radikale Linke wählten oder sich enthielten. Mit etwa 30% war die Enthaltung in der ersten Runde die höchste in der Geschichte.
Die unverschämte Klassenkollaboration, mit welcher der Ex-Trotzkist Jospin mehr Privatisierungen umsetzte als die zwei vorangegangenen rechten Regierungen zusammen, hat ihren Preis. Es bleibt abzuwarten, ob sich die SP davon erholen kann. Bereits 1993 wurde die SP durch ihr Einknicken bei den Parlamentswahlen weggefegt. Jetzt ist die Krise noch ernster!
Beispielsweise war der Norden Frankreichs traditionellerweise stark von der SP gehalten. Und dennoch erhielt Le Pen in Lille, einer SP-Bastion, die meisten Stimmen in der ersten Runde. In den kommenden Parlamentswahlen wird die SP vor einer Entscheidung stehen: wenn sie mit ihrer offen pro-kapitalistischen Politik fortfährt, wird sie durchgehend abgelehnt und gerät vielleicht in Vergessenheit.
Wenn sie sich nach links wendet, wird sie zeigen müssen, dass dies kein zynisches Manöver ist. Das wird vermutlich mehr sein, als sie verkraften kann. Aber es würde der einzige Weg sein, zu verhindern, dass Chirac in den nächsten Wochen alle Zügel der Macht übernimmt.
Wenn die SP vor dem Abgrund steht, ist die KPF schon einen Schritt weiter.
Robert Hues Wahlerfolg - rührende 3,5% - ist das schlechteste Ergebnis, das die KPF je erreichte. Zur Versüßung dieses historischen Wahlergebnisses wurde er von zwei selbsternannten trotzkistischen Kandidaten (LO und LCR) geschlagen. Über 20% der Arbeiter, die 1997 die KPF wählten, bevorzugten diesmal die radikale Linke.
Hue, der den Niedergang der KPF bis zur Beinahe-Vergessenheit beaufsichtigt, wird wahrscheinlich entweder das Opfer eines Palast-Putsches oder etwas "Anständiges" tun und zurücktreten.
Der Einbruch der KPF in der Wahl zeigt in Zusammenhang mit dem Ergebnis für die LCR und die LO, dass die Grundlage für die Schaffung einer neuen revolutionären Arbeiterpartei in Frankreich existiert.
Dazu müssen aber die Lehren aus der Kampagne müssen gezogen werden. Lutte Ouvriere lehnte mit ihrer traditionell sektiererischen Arroganz den Vorschlag einer gemeinsamen Kandidatur mit der LCR ab.
Arlette Laguiller, Kandidatenveteranin von LO, erlaubte sich, den Meinungsumfragen zu vertrauen und sprach davon, über 10% bei den Wahlen zu erhalten. Tatsächlich konnte sie ihren Anteil nur geringfügig verbessern. Während der Kampagne koppelte sie ihre mögliche Unterstützung für eine "neue kommunistische Partei" an die Zahl der Stimmen, die sie allein erhält und weigerte sich, eine Verbindung zwischen ihrer Kampagne und jener der LCR herzustellen. Das tiefsitzende Sektierertum der LO zeigte seine Grenzen in dieser Kampagne und LO wird - bei ausbleibenden wichtigen Veränderungen in der verbleibenden Basis der KPF - mutmaßlich zum "normalen Geschäft" zurückkehren.
Das Ergebnis der LCR ist so weit ein Sieg ihres Kandidaten - eines 27jährigen Postarbeiters mit mehr politischer Flexibilität als beim dogmatischen Stil der 50er-Jahre von Laguiller, wie er für die Politik der LCR stand. Besancenot - humorvoll und stolzer Internationalist - machte einen guten Eindruck, einschließlich der Wahlnacht, als seine Presseaussendung Le Pen angriff und er zur Mobilisierung der antikapitalistischen Jugend gegen die Rechten aufrief.
Laguiller - deren Organisation sich noch nie über den Aufstieg der FN sorgte und die antikapitalistische Kämpfe verschmähte - verbrachte ihre Zeit mit Rechtfertigungen ihrer Kandidatur.
Der Schlüssel zum Abstand zwischen den beiden hauptsächlichen zentristischen Organisationen ist die KPF. Eine Krise in der KPF war stets der Kern des Parteiaufbau-Schemas von LO. Und tatsächlich, die Krise zehntausender KPF-Militanter würde entscheidend sein für den Aufbau einer neuen Partei! Aber die Tatsache, dass LO damit glücklich ist, auf dieses Ereignis passiv zu warten und nicht aktiv eine Kampagne dazu macht, zeigt die Probleme dieses passiven Propagandismus'.
Ob in den kommenden Monaten die Rechten alles gewinnen oder es eine neue Form der Kohabitation zwischen Chirac und einer reformierten Linken gibt (was unwahrscheinlich ist): die ArbeiterInnen müssen sich darüber klar sein, dass ihre einzige Rettung in ihren Aktionen liegt, in ihrer entschlossenen Verteidigung ihrer Interessen und im konsequnten Kampf der immigrierten ArbeiterInnen gegen Chiracs zynischen Populismus und Le Pens Rassismus und Faschismus.

 

 

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